Jeannine Burger (alle Namen geändert) staunte nicht schlecht, als sie eines Tages die Rechnung eines Karosseriespenglers aus Ihrem Briefkasten fischte. Ihr Pferd habe an einem Auto die Tür zerkratzt, erklärte der Garagist auf Rückfrage. Deshalb habe der Autobesitzer den Schaden reparieren lassen und ihn beauftragt, die Rechnung der Pferdebesitzerin zukommen zu lassen. «Mein Pferd ist in einem Pensionsstall untergebracht, in einer Box mit Auslauf», erklärt die Reiterin. Offenbar habe der Automobilist seinen Wagen so nahe an der Absperrung abgestellt, dass das Pferd dem Lack habe zu Leibe rücken können. «Muss ich diese Rechnung wirklich bezahlen?», fragt sich Jeannine Burger.

Wann muss der Besitzer den Schaden bezahlen?

Nein. Laut Artikel 56 des Obligationenrechts muss ein Halter zwar für den Schaden aufkommen, den sein Tier anrichtet. Allerdings nur dann, wenn er nicht nachweisen kann, dass er «alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt in der Verwahrung und Beaufsichtigung angewendet hat». Ist ein Pferd wie jenes von Jeannine Burger in einer Box versorgt und ist diese ausreichend verriegelt und gesichert, so kann dem Halter keine Sorgfaltspflichtverletzung vorgeworfen werden. Im konkreten Beispiel kann der Automobilist also weder die Pferdeeigentümerin noch den Pensionsstall haftbar machen. Er hätte den Wagen schlicht nicht so nahe bei der Box abstellen dürfen. Juristen sprechen von Selbstverschulden. Es wird ihm also nichts anderes übrig bleiben, als den Schaden selber zu berappen. Verfügt der Automobilist über eine Vollkaskoversicherung, wird diese die Reparaturen übernehmen. Etwas anders liegt das Problem bei Petra Blatter. Ihr Pferd und das Pferd ihrer Tochter teilen sich eine Box in einem Pensionsstall. Monatelang ging alles gut. Dann, eines Morgens, fand Petra Blatter ihr Pferd verletzt in der Box vor. Offenbar im Streit hat ihm das andere den Kieferknochen zertrümmert. Petra Blatters Tochter meldete den Schaden ihrer Haftpflichtversicherung. Doch die winkte ab. Zu Recht, denn auch in diesem Beispiel hat keine der beiden Pferdebesitzerinnen eine Sorgfaltspflicht verletzt. Von keinem der Pferde war aggressives Verhalten bekannt. Für Petra Blatter heisst das: Sie muss die Behandlungskosten aus der eigenen Tasche berappen.

Wer ist denn nun eigentlich der «Halter» eines Pferdes?

Im Obligationenrecht ist übrigens von der Haftung des «Tierhalters» die Rede.In der Praxis stellt sich immer wieder die Frage, wer denn nun als Halter eines Pferdes gilt. Sein Eigentümer? Der Pensionsstall, in dem es untergebracht ist? Reiterinnen und Reiter, die das Pferd gelegentlich bewegen? Reitschüler? Das Bundesgericht hat diese Frage geprüft und ist zum Schluss gekommen, dass Halter eines Tieres nur sein kann, wer die tatsächliche Gewalt über das Tier hat, wer also auf das Tier einwirken kann, wer für das Tier sorgt und von ihm profitiert. Dies kann, muss aber nicht zwingend der Eigentümer sein. Im erwähnten Urteil wurde eine junge Frau als Halterin eingestuft, die ein Pferd während 14 Tagen täglich gemietet und selbständig geritten hatte. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung können also auch Reitschüler oder Reitbeteiligungen als Halter gelten und damit für einen Schaden haftbar gemacht werden. Selbst dann, wenn sie noch nicht volljährig sind. Nicht als Tierhalter gelten Personen, die zwar mit dem Pferd zu tun haben, es aber nicht nutzen. Angestellte im Pensionsstall zum Beispiel oder Familienmitglieder eines Pferdeeigentümers, wenn sie das Pferd nicht regelmässig reiten. Die Angestellten im Stall können haftpflichtrechtlich dennoch zur Verantwortung gezogen werden. Dann etwa, wenn ein Schaden entsteht, weil sie ihre vertraglichen Pflichten gegenüber dem Pferdebesitzer verletzt haben.

Welchen Versicherungsschutz braucht eine Reitbeteiligung?

Wer regelmässig fremde Pferde reitet, sollte im Rahmen seiner Haftpflichtversicherung den «Zusatz zum Reiten fremder Pferde» abschliessen. Diese Versicherung kostet zwischen 75 und 150 Franken im Jahr und deckt die Heilungskosten, falls sich das geliehene oder gemietete Pferd verletzt, den Minder- oder Wiederbeschaffungswert und einen allfälligen Ausfall im Reitbetrieb. Für Schäden, die ein Pferd gegenüber Dritten verursacht, kommt die «gewöhnliche» Haftpflichtversicherung seines Reiters auf. Gedeckt sind in der Regel Schäden bis zum Betrag von fünf Millionen Franken. Allerdings nur dann, wenn der Reiter berechtigt war, das Tier unbeaufsichtigt zu bewegen, und er über die dafür notwendigen Fähigkeiten verfügt. Die Haftpflichtversicherung ist nicht obligatorisch, aber unbedingt zu empfehlen. Viele Ställe verlangen von Reitschülern oder Pferdemietern einen entsprechenden Versicherungsnachweis. Verletzt sich bei einem Unfall nicht das Pferd, sondern der Reiter oder eine andere beteiligte Person, kommt die Unfallversicherung für die entstehenden Heilungskosten auf und deckt einen allfälligen Lohnausfall, wenn die verletzte Person vorübergehend arbeitsunfähig ist. In der Schweiz ist diese Versicherung obligatorisch. Und wie ist es, wenn sich ein Pferd in einem Pensionsstall verletzt, zum Beispiel in der Box, oder wenn es auf der Weide in einen Nagel tritt? In diesem Fall muss der Pensionsgeber für die Behandlungskosten aufkommen. Er ist gemäss Pensionsvertrag verpflichtet, das eingestellte Pferd fachgerecht zu versorgen und vor Schaden zu bewahren. Zu dieser vertraglichen Haftung kommt eine gesetzliche, die so genannte Werkeigentümerhaftung. Nach dieser Bestimmung schuldet der Pensionsgeber Schadenersatz, wenn ein Pferd sich infolge fehlerhafter Anlage verletzt. Lose Nägel auf dem Sandplatz oder auf der Weide, eine falsch konstruierte Absperrung oder Box sind fehlerhafte Anlagen im Sinne des Gesetzes. Die Werkeigentümerhaftung ist eine so genannte Kausalhaftung. Das bedeutet, der Pensionsgeber haftet immer und kann sich – anders als bei der Tierhalterhaftung – nicht mit dem Argument befreien, es könne ihm keine Sorgfaltspflichtverletzung vorgeworfen werden. Zudem können andere Haftungen vertraglich ausgeschlossen werden. Aus diesem Grunde sollten Pferdebesitzer immer auf einen schriftlichen Pensionsvertrag bestehen und das Kleingedruckte genau lesen.

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