Langbeinig stakst es seine ersten Schritte, die Ohren aufmerksam gegen vorne gerichtet. Auf dem schwarzen Kopf prangt ein weisser Stern, die hintere Fessel ist weiss. Eigentlich sieht das Stutfohlen vom Züchter Simon Kohlenbrenner in Selsingen, Bundesland Niedersachsen, aus, wie Fohlen eben aussehen: süss, verspielt, neugierig. Eigentlich. Wenn der Vater nicht Totilas heissen würde, das Dressurpferd der Stunde. Medien und Pferdesportler überschlagen sich mit Superlativen: «Wunderpferd », «Jahrhundertpferd», «Aura eines Hollywoodstars» oder «der tanzende König» – so wird der schwarze Gribaldi-Sohn beschrieben.
Rekordsumme
In den letzten zwei Jahren eilte der 11-jährige KWPN-Hengst mit seinem niederländischen Reiter Edward Gal von Sieg zu Sieg. Er holte sich den Welt- und Europameistertitel, wurde Weltcupsieger und zweimal niederländischer Meister. Die Richter zückten jeweils die Bestnote zehn, wenn der Hengst mit seinem Reiter das Viereck verliess, und die Zuschauer beklatschten das Paar, wie wenn eine Rockband und nicht ein Pferd von der Bühne gegangen wäre. Im vergangenen Herbst dann der grosse Coup: Der deutsche Pferdehändler Paul Schockemöhle kaufte zusammen mit der Ex-Dressurreiterin Ann-Kathrin Linsenhoff den Hengst für einen Rekordpreis von rund acht Millionen Euro. Seitdem hat sich einiges geändert. Statt Gal sitzt der 26-jährige Deutsche Matthias Rath im Sattel des Hengstes. Für den sportlichen Erfolg ist Linsenhoff zuständig. Das Deckbusiness liegt in der Hand von Schockemöhle – und wenn sich Totilas nicht ein Bein bricht, hat der 65-Jährige den Kaufpreis innert kürzester Zeit wieder reingeholt. Die Züchter zahlen für eine Portion Totilas-Samen 4000 Euro. Wird die Stute trächtig, zahlen sie weitere 4000 Euro drauf. Dreimal pro Woche bespringt Totilas das Phantompferd, ein braunes Gestell, das an den Bock im Turnunterricht erinnert. Die gewonnenen Samen werden in Stickstoff eingefroren und in die ganze Welt verschickt. Haltbarkeit: 15 Jahre. Mit der künstlichen Besamung ist es durchaus möglich, rund 600 Stuten pro Jahr zu beglücken. Im Idealfall kommen so allein in einem Jahr knapp fünf Millionen Euro zusammen. Und die Nachfrage ist da: Weltweit reissen sich Züchter um den Samen aus Mühlen im Oldenburger Münsterland.
Stuten haben grösseren Einfluss
Eine alte Züchterregel besagt, dass die Stute gut zwei Drittel beiträgt, der Hengst ein Drittel. «Genetisch gesehen ist die Aufteilung natürlich fiftyfifty », erklärt Dominik Burger, Tierarzt am Nationalgestüt Avenches. «Jedoch werden beim Pferd wie bei uns Menschen die sogenannten Mitochondrien, die in jeder Körperzelle vorkommen, immer von der Mutter weitervererbt. Zudem trägt die Stute das Fohlen elf Monate im Bauch. Und danach begleitet sie es von den ersten Schritten bis zur Selbstständigkeit.» Der Hengst wiederum bekommt seinen Nachwuchs nie zu Gesicht. Ähnlich wie bei Kindern also lernen die Fohlen ihre ersten Verhaltensmuster von der Mutter. Wird diese zum Beispiel gestresst und reagiert nervig, bekommen das die Fohlen mit auf den Weg. «Erfolgreiche Züchter achten deswegen vor allem auf die Stutenlinien », betont Burger. Warum Züchter wie Kohlenbrenner und Grunder dennoch so viel Geld in die Hand nehmen, liegt einerseits sicherlich am Namen, auf der andern Seite aber auch an der Faszination von Totilas. «So ein Pferd sehen wir in unserem Leben nur einmal. Ganz ohne Zweifel», ist Kohlenbrenner überzeugt. Nebst seinem Potenzial, das er im Sport bewiesen hat, ist der Züchter vor allem vom Charakter des Ausnahmepferdes angetan. «Er ist bereit, immer das Maximum zu geben. So eine Arbeitseinstellung ist Gold wert.» Zudem kommt den Züchtern im Moment der Rummel um den Hengst entgegen. «Ich habe für das noch ungeborene Fohlen schon jede Menge Angebote», sagt Grunder. Der Name Totilas ist für die Züchter sozusagen ein Garant, das Fohlen teuer verkaufen zu können.
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