Neugierig mustert Morgana den fremden Mann mit seinem schwarzen Aktenkoffer. Als er seine Utensilien – ein grosses Blatt Papier, grüne Kurvenlineale und eine Wasserwaage – auspackt, macht die Pintoaraber-Stute ihren Hals ganz lang, um genau sehen zu können, was er da tut. Martin Breitler, Sattler aus Fehraltorf, trifft sich mit Morganas Besitzerin Bettina Meier zum ersten von drei Terminen. Die 4-jährige Stute soll einen Vielseitigkeitssattel nach Mass bekommen. Meier ist sich bewusst, dass sie viel Geld – rund 4200 Franken – für einen Sattel ausgibt, der in zwei, drei Jahren, wenn Morgana fertig ausgebildet ist und über entsprechend mehr Muskulatur verfügt, vielleicht nicht mehr passt. «Es ist mir wichtig, dass der Sattel jetzt perfekt sitzt. Denn ich möchte, dass die ersten Erfahrungen unter dem Sattel für Morgana angenehm und vor allem schmerzfrei sind», erklärt die Freizeitreiterin ihren Entscheid. Inzwischen hat Martin Breitler mit dem Ausmessen von Morganas Rücken begonnen. Zuerst nimmt der Fachmann dessen Form ab, indem er an sechs Punkten die grünen Kurvenlineale über den Pferderücken legt. So ermittelt Breitler, wie weit das Kopfeisen sein muss und wo der tiefste Punkt des Sattels zu liegen kommt. In einem Breitler-Sattel sitzt der Reiter auf dem 12. oder 13. Rückenwirbel, bei vielen anderen Sätteln befi ndet sich der tiefste Punkt jedoch auf dem 14. oder 15. «Das Pferd kann auf dem 12. und 13. Wirbel am meisten Gewicht tragen», begründet Breitler diese Besonderheit. Anhand der Rückenform zeigt sich auch, wie weit der Sattel generell gebaut werden muss. Bei Morgana besteht die Herausforderung darin, einen Sattel herzustellen, der nicht nach vorne rutscht, da die Pinto-Stute über einen breiten Rippenbogen verfügt.

Nicht nur das Pferd, auch die Reiterin wird ausgemessen

Als Nächstes misst der Sattler die Rückenkontur und stellt mit der Wasserwaage die Rückentiefe fest. Diese beiden Masse bestimmen, wie der Sattelbaum gespannt sein muss. Die individuelle Anpassung der Sattelbaumspannung ist somit auch der grosse Unterschied zwischen einem Masssattel und einem ab der Stange. Bei letzterem kann sowohl die Weite des Kopfeisens sowie die Grösse der Sitzfläche angepasst werden, die Beugung des Sattelbaumes allerdings ist vorgegeben. Das macht es bei Pferden, die nicht über Durchschnittsmasse verfügen, schwierig, einen Sattel mit der für sie korrekten Sattelbaumspannung zu finden. In einem vierten Schritt misst Martin Breitler Morganas Rückenmuskel aus. So weiss er, wie breit die Sattelkissen sein müssen. Für die fünfte und letzte Messetappe machen sich Breitler, Bettina Meier und Morgana auf zum Reitplatz. Dort steigt die Besitzerin in einen Sattel, damit Breitler auf dem unter das Bein geklemmten Papierbogen die Beinform von Meier nachzeichnen kann. So wird der Pauschen und das Sattelblatt ganz genau auf die Reiterin zugeschnitten. Bei diesem letzten Schritt achtet Breitler allerdings auch darauf, ob die Form des Vorderzwiesels für den Reiter passt. Genauer: für die Reiterin. Damit konnte der gebürtige Kreuzlinger schon diversen Kundinnen bei einem Problem helfen, über das – wenn überhaupt – nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird. «Weil die Sitzkurve zu wenig steil abfällt, haben nicht wenige Frauen beim Reiten Schmerzen am Schambein», erklärt Breitler.

Es gibt nicht immer eine Lösung

Ein Problem, womit auch Monika Zürcher ihre Erfahrungen gemacht hat. Für die Besitzerin einer Mérens-Stute bedeutete Reiten lange Zeit mehr Qual als Freude, weshalb sie sich entschlossen hatte, einen Masssattel für Quina zu kaufen. Eine Knacknuss für Martin Breitler, denn die zehnjährige Stute ist hinten überbaut. Es galt also einen Sattel zu bauen, in dem die Reiterin nicht zu weit vorne sitzt und die Sattelbaumspannung für das Pferd trotzdem noch stimmt. Bei der Nachkontrolle drei Monate nach der Auslieferung zeigt sich, dass es Martin Breitler gelungen ist, den passenden Sattel für Monika Zürcher und Quina zu bauen. «Mein Schambein schmerzt nicht mehr, auch bei langen Ritten oder wenn ich täglich im Sattel sitze», erzählt Zürcher, sichtlich erleichtert. «Dieser Kontrollbesuch, den ich bei allen Kunden mache, ist der wichtigste Termin», sagt Breitler. Denn ob der Sattel für Ross und Reiter wirklich passt – gerade auch bei den Reiterinnen –, stellt sich erst nach einer gewissen Zeit heraus. Zudem komprimiere sich die Wolle in den Sattelkissen, was es zuweilen nötig werden lasse, diese nochmals aufzupolstern. So auch bei Quinas Sattel. Also nimmt ihn Breitler wieder mit in seine Werkstatt. Dort entsteht in 20 bis 25 Stunden auch der Sattel für Morgana und Bettina Meier. Martin Breitler, zwei gelernte Sattlerinnen und drei Lehrlinge führen jeden einzelnen Schritt von Hand aus. Doch nicht immer gelingt es, für jeden Kunden einen passenden Sattel herzustellen. «Jeder Sattler hat seine eigene Philosophie», sagt Breitler. Und die könne nicht für jeden Reiter die richtige sein. Manchmal komme es aber auch vor, dass der Sattel wohl passt, der Reiter allerdings seinen Stil nicht verändern wolle – sprich, seinen Sitz verbessern. «Mit einem Masssattel zu reiten, bedeutet nicht, dass alles automatisch klappt. Etwas können muss der Reiter schon noch.» Doch diese Fälle seien zum Glück selten und meistens, sagt Breitler zufrieden, passe der Sattel genau.

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